Wir haben beschlossen, mit dem Auto und unserem Fahrer nach Dharamsala im Himalaya zu fahren. Bei der Fahrt sieht man mehr vom Land und den Menschen.
Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis wir aus Delhi raus sind. Da wird mir immer erst bewusst, wie groß Delhi eigentlich ist und dass ich tatsächlich in einer der größten Metropolen der Welt lebe. So fühlt es sich für mich nämlich gar nicht an. Durch den Bebauungsstil und die vielen Bäume und Tiere überall vergesse ich meist, dass ich in einer Millionenstadt wohne.
Kaum haben wir die Stadt hinter uns gelassen, fahren wir durch abgeerntete Getreidefelder, die links und rechts die Straße säumen. Der Laubfall vor ein paar Wochen und jetzt die Stoppelfelder lösen bei mir Herbstgefühle aus. Der Kanon „Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder“ kommt mir in den Sinn. Wobei das mit den bunten Wäldern gar nicht stimmt. Nach wie vor sind die meisten Bäume grün. Nur die Bäume, die gerade blühen, leuchten orange oder gelb. Die Natureindrücke stimmen hier überhaupt nicht mit meinem Erfahrungsgedächtnis zu den Jahreszeiten überein. Mein Erfahrungsgedächtnis sagt es ist Spätsommer und der Kalender sagt es ist Mitte April. Das fühlt sich ganz seltsam an. Diese Klimazone irritiert mich zu jeder Jahreszeit neu.
Je weiter nördlich wir kommen desto weniger weit ist die Ernte fortgeschritten. Hier steht das goldgelbe Getreide noch. Getreidefelder über Getreidefelder. Nur dass sie nicht so groß angelegt sind wie in Deutschland, sonder in kleinen Parzellen mit vielen Büschen und sogar Bäumen im Feld. Daher sieht man auch kaum Traktoren bei der Ernte. Überwiegend Frauen und manchmal auch Männer ernten zusammen in der Hocke mit kleinen Handsensen das Getreide ab. Das wirkt so urtümlich auf mich. Wie eine Zeitreise in die Vergangenheit und dabei haben wir einfach nur Delhi hinter uns gelassen. Es ist kaum zu glauben, dass Indien mit dieser Erntemethode der drittgrößte Getreidelieferant weltweit ist.
Wir sehen sogar einfache Strohhüttensiedlungen. Unser Fahrer erzählt uns, dass hier die Arbeiter zur Erntezeit leben.
Umso mehr wir uns dem Himalaya nähern, desto klarer, fast schon türkisblau, wird das Wasser der Flüsse, die wir überqueren. Im Flussbett liegen riesige, rundgewaschene Felsen, am Ufer waschen Frauen die Wäsche oder ihre Haare.
Beim Überqueren einer Brücke sehe ich unter uns, dass ein Laster in den Fluss gefahren wurde und dort von Männern mit nacktem Oberkörper und Turban gewaschen wird. Leider sind wir zu schnell vorbeigefahren, als dass ich ein Foto hätte machen können.
Immer öfter fahren vor uns Laster, die hinten offen sind und auf deren Ladefläche Menschen sitzen. Meist Männer aber auch Frauen und Kinder. Das wirkt auf mich etwas verstörend, da in Deutschland nur Tiere und Güter in Lastern transportiert werden. Die Fahrgäste setzen sich mit ausgestreckten Beinen gegenüber und lehnen sich mit dem Rücken an die Wände des Lastanhängers. Alle tragen Turbäne. Auf Nachfrage bei unserem Fahrer erfahren wir, dass es sich um gläubige Sikh handelt, die so zu heiligen Tempeln pilgern. Einer aus der Familie stellt den Laster, in dem dann alle mitfahren. Es gibt auf dem Weg sogar Verpflegungs- stationen, in denen die Gläubigen kostenfrei mit Essen und Getränken versorgt werden. Direkt am Straßenrand sind Pavillons aufgebaut, die ein bisschen an die erinnern, in denen die Inder ihre Hochzeiten feiern, nur nicht ganz so prunkvoll.
Nach endloser Fahrt wird es endlich bergig. Die Straße schlängelt sich in Serpentinen immer höher. Die Berghänge sind mit Pinien und weiter oben vorwiegend mit Cedern bewachsen. Das Unterholz ist voll von bunten Wandelröschen, die ich in Deutschland immer im Sommer als Terrassenpflanze im Kübel hatte. Die Temperaturen sind immer noch sehr heiß und der Wald ist weit von dem entfernt, wie ich Wald aus Deutschland kenne. Eher mediterran und trocken. Trotzdem geht mir das Herz auf und ich komme in Urlaubsstimmung.
Ich bin immer wieder begeistert, wie viel ich hier in Indien sehe. Wie bunt das Leben ist. Das scheint auch auf das Himalaya zuzutreffen.
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